Der Mythos vom Echsenstein

Einst lag inmitten von blühendem Land
eine Stätte, zu der man von weither kam,
zu dem hochragenden Findlingsstein,
einem grünen Koloss aus Serpentit:
Das war der glatte Echsenstein.
Man hatte ihn aufgerichtet
in einem lieblichen Birkenhain.
Unter dem Echsenstein wohnte Stjax,
die heilige grüne Echse.
Zu ihr waren die Männer gepilgert
Jahrhunderte lang und hatten dem verehrten Tier
ihre frei schweifende Kraft dargebracht,
damit diese fruchtbar gebunden werde und
nicht als rasender Feueratem alles verheere.
Stjax spürte sie reden mit seinem Bauch
und sprach zu ihren Herzen, lud sie ein,
tätig zu sein und ermahnte sie,
ihre enorme Schaffenskraft, ihren
Erfindungsgeist schonend zu gebrauchen,
ermunterte sie, freundlich zu wohnen
und nicht übergewaltig aufzuprotzen.
Dann zogen die Männer weiter und
die Wälder und Felder umspielten sie.
Sie waren dankbar und heiter.

Doch bleiben konnte es so nicht.
Denn es drängten sich Andere vor
und überwältigten die Einen.
Nicht gleich, aber doch
als hundert Jahre gefallen waren.
Die Anderen gehörten zu einer anderen Gattung,
waren stolz auf ihre Kraft und
nannten sie ihr Eigen.
Denen waren Hemmungen fremd;
die wussten auch nichts vom Echsenstein,
bedenkenlos mehrten die ihre Macht
und spannten sie vor ihre Karriere.
Leer von Furcht ist ihr Horizont.
Ihre dürren Träume kreisen um
Selbstermächtigung und Kontrolle
wie hungrige Hyänen um ein sterbendes Tier.
Da begann es bald im Land zu brennen,
der Geist der Andern hatte Oberhand gewonnen.
Die Männer wurden zu Herren und rechneten
und rechneten, das Unendliche rechneten sie aus und
entdeckten zu ihrer bodenlosen Erleichterung,
dass alles, was sie untersuchten, maschinell
funktionierte, wenn man’s nur richtig kapierte.
– nicht ausgenommen sie selbst.
Und der Echsenstein wurde gesprengt
und aus seinen Trümmern
vierzig Meter Randstein gemacht.
Randstein aus Serpentin,
eben gemeisselt und scharf gekantet,
eine saubere Grenze gegen das andrängende
Nichts.




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